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2018-08-24 Grenzschlängeln über dem Val Poschiavo

Grenzschlängeln im Val Poschiavo vom 23. - 26. August 2018

 

1. Tag: Hinreise nach Cavaglia

Die Aufregung war bereits in den ersten Stunden der Anreise schon gross. Unsere Tourenleiterin hatte in der Hektik beim Umsteigen ihre Wanderschuhe im Zug liegen gelassen und die ganze Tour stand buchstäblich auf der Kippe, wenn sich nicht ein netter Sportgeschäftsleiter aus Pontresina dazu bereit erklärt hätte, Madame 2 verschiedene Paar Wanderschuhe direkt zum Bahnhof zu bringen, damit sie sich ein passendes Paar zur 3-tägigen Miete aussuchen konnte. Dass sie dem netten Herrn nicht noch um den Hals fiel, als er ihr in aller Hast die Schuhe zur Probe brachte, war verwunderlich. Trotz allem bewies sie in der Situation Organisationstalent und die Erleichterung war am Schluss gross, dass die Tour nun doch stattfinden konnte. Zum ersten Tag gibt es weiter noch zu sagen, dass wir im Rifugio Cavaglia alle gut nächtigten und das Zimmer mit einer Gruppe holländischer Boys teilten, die teilweise eine spezielle Vorliebe für ihre Schlafunterlage hatten (= ein Tisch wurde einem Hochbett vorgezogen) und es mit der Hygiene ihrer Textilien nicht allzu genau nahmen (=stinkende Tüechli und T-Shirts, die im ganzen Zimmer 'gelüftet' wurden).

 

2. Tag: Cavaglia - Selva, grenzschlängelnd über die Pässe Canfinal, d'Ur und Cancian

Die Fahrt mit dem Rufbus bis Somdoss ersparte uns etwas mehr als 500 hm und einige km (am Nachmittag war Regen angesagt). Wir stiegen zügig auf über weiche Matten, sumpfige Hochebenen, durch Heidel- und Preiselbeerstauden und Geröll, Kuhglockengeläute und Murmeltierpfiffe im Ohr. Nach jedem Bananenhalt überprüften wir, ob unsere Tourenleiterin ihre Schuhe noch hatte. Das erste Ziel: Pass da Canfinal (2628 m) auf der Landesgrenze mit Aussicht auf die Gletscher an der Südseite des Bernina-Massivs. Beim Abstieg auf der italienischen Seite kreiste ein Bartgeier. Unterhalb des Grenzgrates des Piz Canfinal zogen wir teils weglos auf Grasbändern zwischen Felsstufen Richtung Süden mit Sicht auf den Lago di Gera, den Monte Spondascia und den Pizzo Scalina und fanden dank der super Orientierungsfähigkeit unserer Wanderleiterin (sie hätte das auch mit ihren Flipflops locker geschafft) ohne Probleme den Pass d'Ur. Nach einer Mittagsrast ging es weiter auf dem Grenzgrat zum Pass Cancian (2498 m) mit Sicht zurück nach Norden mit der Rückseite der Berninagruppe, mit den Gletschern Vadret di Fellaria und Vadret da Palü. Hier wuselten in einem der vielen Seen Hunderte von Kaulquappen in ihrer Metamorphose zu winzigsten Fröschen. Auf dem Weg runter durchs das idyllische Val Cancian nach Selva (1475 m) brauchten wir dann am Nachmittag die Regenjacken, aber das Wetter war besser als erwartet.

Im Albergo Ristorante Selva begann ein nicht enden wollender kulinarischer Höhenflug. Es gab Pappardelle con porcini - cento percento Poschiavo! Und die waren so gut, dass wir alle gern eine zweite Portion gehabt hätten. Zum Glück gab's (nach ca 20 km, 780 hm hoch und 1500 hm Abstieg in den Beinen) Brot mit viel Olivenöl… und diverse hausgemachte Desserts. Und dann ein riesiger Freudenschrei mit der Nachricht Evas Wanderschuhe sind gefunden worden und bereit zum Abholen in Basel... eine strahlende, überglückliche Eva!

 

3. Tag: Selva - Passo Tre Croci - Capanna Anzana

Durch moosige Lärchenwälder wie im Märchen stiegen wir von Selva über Torn hinauf zum Val Mürasc und kamen bei der Menge an Pilzen am Wegrand ins Pilzfieber. Am Schluss hatten wir einen Sack voller Eierschwämme und einen perfekten Steinpilz. Auf der idyllischen Alp Valüglia picknickten die Hühner mit uns, und unsere vielseitig begabte Wanderleiterin brachte uns bei, wie man ein Huhn packt und festhält (zum Streicheln!). Auf dem Pass Tre Croci (es gibt wirklich drei Kreuze) machten wir einen kurzen Abstecher auf den Corn dal Solcun und sahen hinunter zur Stadt Tirano, das Tor ins Veltlin. Zurück auf dem Pass beobachteten wir einen Steinadler der beindruckend seine Runden zog. Dann zwang uns eine ernsthafte Wetterfront in die Regenklamotten. Nach dem Abstieg im Regen vom Pass über weiche Matten ins Val dal Saent kamen wir im Wald an einer Bären-Fotofalle vorbei. Unsere Wanderleiterin präsentierte sich als potentielle Bärin vor der Falle bzw. wollte gleich wissen, was dort auf dem laminierten Zettel geschrieben stand. Vermutlich ist sie jetzt beim lokalen Amt für Jagd für immer registriert ;-). Kurz vor unserer Ankunft in der Hütte kamen wir auf der Alp Pescia Alta an zwei gut erhaltenen Crott vorbei, Kuppelbauten aus Trockensteinmauern, die sogenannten Kühlschränke vor der Elektrifizierung, welche auf den Puschlaver Alpen heute noch in Gebrauch sind. Unser Tagesziel, die Capanna Anzana (2050 m), ist eine Selbstversorger-Alphütte der Gemeinde Cavaione angrenzend an ein Fahrsträsschen. Franco, der Hüttenwart, kam am Abend von Cavaione hoch, extra um für uns zu kochen: Nach dem leckeren Antipasto (unsere selbstgesammelten und in Olivenöl gebratenen Pilze!) zauberte Franco einen knackigen Salat aus seinem Garten, ein vorzügliches Risotto mit Eierschwämmen (selbstgesammelt), Peperonata und Steak auf den Tisch. Und für die Vegetarierinnen gabs statt Fleisch Tofu mit Olivenöl (sehr aufmerksam!). Auch einen edlen Tropfen Wein aus dem Veltlin fehlte natürlich nicht. Satt und mehr als zufrieden von diesem weiteren kulinarischen Höhenflug, wollten wir uns an den Abwasch machen, doch Franco wollte sich auch da nicht helfen lassen. Bevor er wieder ins Tal fuhr, wollten wir noch einiges von ihm wissen. Sein Vater war Schmuggler, und er selbst ist nun Grenzwächter ;). Geschmuggelt wurde in beide Richtungen, je nach Ware ( Kaffee oder Zigaretten). Der Schmuggel von der Schweiz nach Italien war sogar legal. Während dem zweiten Weltkrieg brachten die Schmuggler auch Flüchtlinge in die Schweiz. Geschmuggelt wurde bis ca. 1994, zuletzt vermehrt Elektronikware.

Was aber momentan alle im Tal beschäftigt ist der Bär: Am Pass Tre Croci wurde vor kurzem einer gesehen, im Winter auch mal Bärenspuren im Schnee (dehalb auch die Fotofalle). So sah sich dann jede von uns, beim nächtlichen Gang zum WC hinter dem Haus, verstohlen um, ob der Bär/die Bärin nicht vielleicht doch unseren Braten gerochen hat…

Trotz fragwürdigem Zustand der Wolldecken waren sie alle in Gebrauch in dieser eiskalten und stürmischen Nacht. Dafür schaffte der Nordwind strahlend schönes Wetter für den letzten Tag.

 

4. Tag: Capanna Anzana - Lagh da la Regina - Lagh dal Mat - Bocchetta Malgina - Cavaione

Als wir starteten war es noch ziemlich kalt. Beim Aufstieg zu den wunderschönen Seen trafen wir auf Fabrizio, den Sohn von Franco, der Ausschau hielt nach dem Wild (am 1. September ist der offizielle Start in die Hochwildjagd). Er verriet uns, dass sein Vater ganz schön nervös gewesen sei wegen der Kocherei für uns. Auf seinen Rat hin stiegen wir noch zur Bocchetta Malgina (2618 m) hoch und wurden mit grandioser Aussicht ins Val Fontana belohnt. Der Pizzo Scalino präsentierte sich nun weiss überzuckert.

 

An diesem letzten Tag hatten wir einen ehrgeizigen Zeitplan: Vor der langen Rückreise wollten wir auf der Piazza in Poschiavo unbedingt einen Zmittagshalt zu machen. Wir schafften dies trotz des Abstechers auf die Bocchetta Malgina, einer Zusatzschlaufe Richtung Bocchetta dal Meden und Col Anzana und dem 1,5 stündigen und mühsamen Marsch auf der Fahrstrasse nach Cavaione (1344 m). Aber nur dank dem Busfahrer in Cavaione, der auf unsere Bitte hin mit Vollgas auf der schmalen kurvigen Strasse zu Tal fuhr. Wir hielten uns an den Sitzen fest, riefen piano piano und hoffen bis heute, dass er seinen Job nicht verloren hat wegen der Raserei an diesem Sonntagnachmittag.

Auf der Piazza in Poschiavo angekommen, gab es dann im 'Albrici' erneut Steinpilze, diesmal mit Buchweizen-Gnochetti, und Gelati in jedem erdenklichen Aroma…

 

Das Fazit: Das Grenzschlängeln mit Eva im Val Poschiavo war in jeder Hinsicht ein Höhenflug! Und Eva hätte nur fast vergessen, in Pontresina die geliehenen Wanderschuhe zurückzugeben. ;-)

 

Johanna, Agnes, Lucie und Marianne